„Du stille Nacht, du heilige Nacht“
(Chronik „Aus Gnarrenburgs vergangenen Tagen“ von Postmeister Meyer, 1925)
Der Winternebel des Jahres 1831 lastete dicht und schwer über dem weiten Gnarrenburger Moor. Er umrieselte die schlichten Hütten der jungen Moorkolonie Augustendorf, die verstreut auf den dem Sumpflande abgerungenen Inseln lagen. Mit dürren Armen griffen die Birken den Nebel hinauf und die Wacholdersträucher standen da wie eingemummte, frierende Zwerge. Stumpf leuchtete der Schnee.
Einunddreißig junge, schlanke Männer gehörten bis jetzt zur jungen, aufblühenden, im Jahre 1828 erstandenen Moorkolonie Augustendorf. Zehn waren verheiratet. Seit drei Jahren hatten sie den schweren Kampf mit dem Moor geführt und sich bis jetzt siegreich durchgesetzt; aber es war Gesetz unter ihnen gewesen, auf das sie sich die Hände gegeben, dass vor zwei Jahren keiner eine Frau bringe. Nicht nur, dass die Häuser erst fertig sein müssten, es müsste auch so weit sein, dass eine schlichte Behaglichkeit möglich wäre. Kampf werde das Leben noch lange sein hier auf dem Lande, das tausende von Jahren des Schweigens und des Moortodes Heimstätte gewesen sei.
Tief schnitten die Gräben in das Moor ein, die Wasser rannen, des Moores ungesunde Kinder starben. Die Hütten standen und das Neuland hatte die erste Frucht getragen. Im linden März hatte Vorsteher Johann-Hinrich-Hermann Ehlers seine Adelheid, die erste Frau der jungen Moorkolonie, heimgeführt. Ihm hatten es im Laufe des Sommers sieben andere nachgemacht und im Herbst waren noch drei gefolgt. Zehn Häuser nun, in denen Frauenhände schalteten und eines darunter, in dem sie auf das erste Kind warteten, dass in Augustendorf geboren werden sollte.
Der kurze Dezembertag sank hinter dem Horizont und die stille, heilige Nacht kam hernieder.
Johann-Hinrich-Hermann Ehlers und Claus Stelling, durch die eiserne Not besonders fest aneinander geschmiedet, schritten munter fürbass nach Gnarrenburg, auf das sie vom Pastor Kuhlemann die frohe Botschaft der Christnacht hörten. Aus seliger Kinderzeit – da sie noch in Wilstedt sich tummelten – waren beide es so gewohnt, dass am heiligen Abend sie zur Christkirche gingen.
„Was macht Adelheid?“ fragte Claus. – „Es geht ihr gut.“
„Hermann, soll ich bei der Wehmutter in Gnarrenburg vorsprechen? Es wäre doch wohl gut, wenn eine Frau zur Hand wäre.
„Ich danke dir, Claus. Adelheid will es nicht. Tinchen Wöltjen will ihr beistehen..................“
Und als sie zurückkehrten, die beiden Getreuen, und Hermann Ehlers zu seiner Adelheid ging, da schallt’s ihm siegesfroh entgegen: „Ein Junge!“
Der laute Ruf des Hornes scholl nach allen vier Himmelsrichtungen. Sie aber kamen alle raschen Schrittes, die jungen Kolonisten, schlicht festtäglich gekleidet. Claus Stelling aber stand vor Hermann Ehlers Schwelle: „Leise, leise. Und nicht zu nah an Adelheid herangehen. Ihr tragt zu viel Frost in den Kleidern.“ Nun standen sie da, die jungen Männer und die lebensstarken Frauen. Sie sahen mit frommen Augen auf Adelheid, deren blonde Flechten gelöst vom Lager rieselten, deren Lippen lächelten und deren Augen in demütigem Stolze leuchteten.
Der Vorsteher stand neben dem Bett seines Weibes, hielt das heilige Buch in den Händen, hob es empor und las mit schwingender Stimme: „Es begab sich, dass ein Gebot von Kaiser Augustus ausging....................“
Da er geendet hatte, bog er sich über sein Weib, nahm ihr den Neugeborenen aus den Armen und hielt ihn hoch empor. „Freunde, uns ist ein Sohn geboren worden!“
„ ........ du stille Nacht, du heilige Nacht, wie hast du Freude uns gebracht!
Wie war die Fremde mit einem Mal so hell und licht!
Wie dehnte sich der Raum so weit! Da lag in ihrer Herrlichkeit die neue Heimat!“...............
Tinchen Wöltjen trat in den Lichtkreis und sang mit ihrer hellen Stimme: „Vom Himmel hoch, da komm ich her.“ Die jungen Frauen hatten heiße Augen, kühn aber und hochgereckt standen die Männer.
Claus Stelling aber drängelte: „Freunde, Adelheid braucht Ruhe. Lasst uns heimgehen!“
Der Vorsteher trat mit seinen Freunden vor die Tür und schüttelte ihnen die Hände. Claus Stelling aber nahm das Horn, blies in alle vier Winde und vertraute ihnen die frohe Botschaft an: „Uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben. Freie Männer stehen hier auf dem Boden ihrer neuen Heimat, den sie dem Moortode entrissen haben.“
Und da sie heimgingen, nahmen sie ein heiliges Freuen mit in ihre Hütten und das weite, kahle Moor, - ihre neue Heimat – schien ihnen gesegnet wie Bethlehems Flur, da Engelsmund sprach:
„Siehe, ich verkündige euch große Freude“, und es aus den Lüften hernieder tönte:
„Ehre sei Gott in der Höhe, Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen!“ .............