Von Augustendorfs Anfängen von Rainer Brandt
a) Kulturpläne
"Im nördlichen Teil, des im Gebiet der Oste liegenden Teils des Teufelsmoors, im Gnarrenburger-Moor, welches durch die von Rhade nach Gnarrenburg eindringende Geest von dem südlichen Teile gesondert ist und dessen Grenzen im Osten von der Oste, im Westen von den scharf ausgeprägten Rändern der Geest gebildet werden, liegt unterm 26,45 Grad östlicher Länge (Ferro) und dem 53,30 Grad nördlicher Breite die Moorkolonie Augustendorf."
So beginnt recht wirkungsvoll die Augustendorfer Schulchronik mit einer welt-geographischen Beschreibung des Dorfes. Aber erst einmal mußte Augustendorf geplant; ja eigentlich geschaffen werden.
Bekanntlich hatte Finforff im Jahre 1780 den sogenannten Generalkulturplan geschaffen, die Carte von den zwischen Stade und Bremen gelegenen Moor und daran grenzenden Geest-Gegend worauf in Sonderheit die in den vier Ämtern Ottersberg, Osterholz, Bremervörde und Lilienthal vorgerichteten neuen Moor-Anbauungen entworfen.
Der damalige Deichinspektor und spätere Moorkommissar Witte überarbeitete den Generalkulturplan für den Augustendorfer Bereich und erstellte so einen Ergänzungsplan vom 16. Oktober 1826 mit 40 Anbaustellen mit jeweils 60 Morgen Größe. Die Anbaustellen Nr. 39 und Nr. 40 direkt am Huvenhoopsee, waren etwas größer vorgesehen, so das insgesamt für Augustendorf 2.409 ½ Morgen zu Bebauung geplant war.
Nach der Planung durch Witte im Jahre 1826 konnte eigentlich die Anlegung von Augustendorf beginnen. Zwei Männer hatten die notwendigen Vorbereitungen geleistet: Jürgen Christian Findorff (1720 - 1792) und Christian Johann Nicolaus Witte (1796 - 1861).
b) Jürgen Christian Findorff - der "Vater der Moorbauer"
Findorffs Vater war Ratstischler in Lauenburg (gest. 1738 oder 1739), über seine Mutter ist Näheres nicht bekannt. Er hatte drei Brüder und Schwestern: Johann Dietrich (1722 - 1772), Hofmaler in Schwerin; Franz Hinrich (1726 - 1802), Tischler in Lauenburg, seit 1774 Moorvogt in Hüttenbusch; Franz Hinrichs Sohn Friedrich ist als Moorkommissar in Lilienthal von 1795 - 1821 einer der beiden Nachfolger Jürgen Findorffs, sein Sohn Johann Hinrich erbte Findorffs Moorbauernstelle in Mehedorf, über Findorffs dritten Bruder Peter wissen wir nur, daß auch er das Tischlerhandwerk erlernt hat.
Findorff wuchs in Lauenburg auf, wo sein Vater vermutlich als Ratstischler vom Rat privilegierter Freimeister war. Auch der Sohn gehörte wie sein 1738 oder 1739 verstorbene Vater zunächst nicht der Zunft an und hatte deshalb wiederholt Auseinandersetzungen mit dem Lauenburger Tischleramt. (Zünftig wird er 1754 in Stade) Jürgen Findorff begegnet erstmalig mit Tischlerarbeiten an einer Schleuse an der Mündung der Stecknitz in die Elbe 1747. Mit der Aufsicht über diese Schleusenarbeiten war der kurhannoversche Oberlandbaumeister Otto Heinrich von Bonn beauftragt, der in den nächsten Jahren zu Findorffs tätigem Förderer werden sollte, indem er ihn eine Reihe weiterer Aufträge erteilte. Durch von Bonn vervollkommnete Findorff seine Kenntnisse in der Baukunst, hatte mit Wasserbauten zu tun und wurde in die Praxis der Landvermessung und des Zeichnens von Rissen und Karten eingeführt. Da von Bonn zu den Ende der 1740er Jahren beginnenden Arbeiten zur Kolonisation der Moore an Wümme, Hamme und Oste hinzugezogen wurde, wird auch sein Schützling Findorff diese von Beginn an verfolgt haben. 1753 begegnet er als Kondukteur im Moor; aus diesem Jahr stammt eine von ihm gezeichnete Karte der „Moore in den Ämtern Ottersberg, Lilienthal, Bremervörde“. In den folgenden Jahren finden wir ihn bei Vermessungsarbeiten, Grenzverhandlungen und seit 1756 besonders beim Bau der Worpsweder Zionskirche.
Für die Moorkolonisationsarbeiten machte sich Findorff in den folgenden Jahren immer unentbehrlicher. Die Amtmänner der vier Moorämter Ottersberg, Lilienthal, Osterholz und Bremervörde kamen nicht mehr ohne ihm aus. Sie ergriffen die Initiative und erreichten 1771 Findorffs Ernennung zum Moorkommissar und seit 1772 seine feste Besoldung, die sich von 100 Reichstalern im Jahre 1772 bis auf 500 Reichstaler seit 1790 steigern sollte. Findorff trieb die Kolonisation unaufhörlich voran und koordinierte sie über die Grenzen der Moorämter hinweg. Wichtigstes Lenkungsinstrument wurden die seit 1764 unter dem Vorsitz eines geheimen Rates aus Hannover jährlich abgehaltenen Moorkonferenzen, an denen die Amtmänner der Moorämter teilnahmen und deren eigentlicher Kopf Findorff bis zu seinem Tode war.
Spätestens von 1760 an trägt das Kolonisationswerk deutlich Findorffs Handschrift. Die Kolonisation begann im Süden mit der Gründung Neu-St. Jürgens im Amt Ottersberg 1753. Sie hatten auch in den folgenden Jahren bis zum Ende der sie 1760er Jahre ihren Schwerpunkt in den südlichen Mooren: Kurzes Moor, Langes Moor, Teufelsmoor. Erst mit dem Bau des Oste-Hamme-Kanals Ende der 1760er Jahre wurden auch die nördlicheren Teile der Moore im Amt Bremervörde erfaßt. Findorff selbst verlegte in diesem Zusammenhang seinen Wohnsitz nach Bremervörde und erwarb im nahen Mehedorf eine eigene Moorbauernstelle.
Noch zu Findorff Lebzeiten kann das Kolonisationswerk weitestgehend abgeschlossen werden. Die Dörfer, die bis zu seinem Tode noch nicht gegründet waren, hatte er größtenteils bereits konzipiert; sie tragen so ebenfalls seine unverwechelbare Handschrift.
Findorffs Tätigkeitsbereich reicht weit über die unmittelbare Entwässerungs- und Ansiedlungsarbeit hinaus. Daß es sich für Findorff um ein ganzheitliches Werk handelte, wird besonders in seinem Moorkatechismus deutlich, in dem er die Grundsätze seiner Kolonisationsarbeit festhielt. Im Mittelpunkt dieser Schrift stehen die Menschen, die sich im Moor niederlassen sollten.
Alle drei Moorkirchen in Worpswede, Gnarrenburg und Grasberg sind von Findorff entworfen und gebaut worden. Selbst die Auswahl der ersten Pfarrer bestimmte er mit.
Zeitgenossen und Nachfahren haben Findorffs Lebenswerk anerkennend gewürdigt. „Vater aller Moorbauern“ ist er noch zu Lebzeiten von seinen Bauern genannt worden. Seine Freunde unter den Beamten der Moorämter haben ihn auf dem Worpsweder Weyerberg ein 1797 fertiggestelltes Denkmal gesetzt; die hannoverschen geheimen Räte erklärten sich einverstanden damit, einem der Dörfer den Namen „Findorf“ zu geben.
(Überwiegend aus „Lebensläufe zwischen Elbe und Leser“, Band 1 Schriftenreihe des Landschaftsverbandes Stade 2002)
c) Christian Johann Nicolaus Witte – der Gründer Augustendorfs
Nach dem Tode des großen Moorkommissars Jürgen Christian Findorff bekleideten mehrere Männer nacheinander diese Funktion. In den Jahren 1793-1813 waren es der Moorkommissar Kohlmann aus Bremervörde und als dieser starb, Findorffs Neffe, der Konducteur Jürgen Findorff. Im Jahre 1826 wurde das Amt des Moorkommissars letztmalig verliehen, und zwar an den 1796 in Stade geborenen Wasserbaufachmann Witte. Claus Witte wurde am 2. Januar 1796 in Stade geboren, am folgenden Tage in der St. Cosmae-Kirche getauft (Eltern: Johann Nicolaus Witte, Grammatikus am Stader Gymnasium nachher Pastor und dessen Ehefrau Sophie Dorothea Friederike Caulier). Seine Jugendjahre fielen in die Zeit der französischen Besetzung. Als 18jähriger Freiwilliger trat er in das Landwehrbataillon Verden ein und kämpfte schließlich als Offizier in der berühmten Schlacht bei Waterloo. Nach Kriegsende besuchte er dann die Universität, ehe er nach dem Studium eine Anstellung im Bereich des Wasserbaus fand. Witte war bis zur seiner Ernennung zum Moorkommissar Wasserbauinspektor in Achim und genoß durch seine Tüchtigkeit und sein Fachwissen einen ausgezeichneten Ruf. Witte setzte sich zu Beginn seiner Amtstätigkeit mit aller Kraft für den Ausbau und die Kolonisation der noch unbesiedelten Moore des Amts Bremervörde ein. Er wollte unbedingt den Findorff‘schen Generalkulturplan zur Besiedlung des Gnarrenburger Moores aus dem Jahre 1780 vollenden und drängte die Regierung in Hannover immer aufs Neue. So hat erst der nachdrückliche Einsatz des Moorkommissars Witte die Gründung Augustendorfs im Jahr 1828 ermöglicht, denn er war es, der am 12. November 1826 den Plan zur „Anlage einer neuen Colonie im Ober-Gnarrenburger Moor“ aufgriff. Auch als die Regierung aus finanziellen Gründen den Anbau Augustendorfs zunächst abgelehnte und dann nur teilweise genehmigte, war es immer wieder Witte, der auf die Fortsetzung der Besiedlung drängte. Er maß außerdem die Anbaustellen auf und war maßgeblich an der Auswahl der ersten Siedler in Augustendorf beteiligt. Da er außerdem ständig um die Verbesserung der Lebensbedingungen bemüht war, kann man den Moorkommissar Witte zu Recht als den Gründer Augustendorfs bezeichnen. Karl Lilienthal schreibt über ihn: „Witte war ein kluger und unternehmender, durch Sachkenntnis und ökonomischer Talente ausgezeichneter hervorragender Verwaltungsbeamter“ (Jürgen Christian Findorffs Erbe, S. 419) und Friedrich Kühlken stellt fest: „wie Findorff wurde nun Witte, der bis 1862 wirkte, der Freund und Förderer der Moorkolonien“ (zwischen Niederweser und Niederelbe, S. 404). Darüberhinaus bemühte sich Witte jahrzehntelang um die Vertiefung der Kanäle und die Verbesserung der Schleusen und Staue. Im Jahr 1825 machte er eine für die Kanalschifffahrt bedeutsame Erfindung, den Klappstau. Witte beschreibt seine Erfindung wie folgt:
„Sie bestehen - in ebenso einfacher wie sinnreicher Konstruktion - aus dem eichenden Pfahl und Dielenwerk der Seitenwände und des Bodens und den Klappen. Diese sind gelenkartig aufeinandergepaßte, durch Lederstreifen fest verbundene Tannenstäbe von der Länge der Schleusenweite. Sie neigen sich, durch 2 am Pfahlwerk angebrachte Hölzer gehalten, dem abwärtsfließenden Wasser in mäßiger Krümmung entgegen. Kraft ihrer gelenkigen Bauart biegen die Klappen sich nieder, sobald ein Schiff sie berührt, schnellen aber, vom Druck des Wassers abgehoben, sofort wieder hoch, wenn das Schiff hinüber ist. Schiffe, die den Kanal hinab fahren, selbst schwerbeladene, gleiten leicht über sie hinweg und können sogar von Kindern regiert werden. Das gerade Gegenteil ist aber der Fall, wenn die Schiffe den Kanal hinauf befördertwerden sollen; dies gilt meistens für den beschwerlichen Teil der Reise.“
Die ersten Klappen wurden in Eikedorf bei Lilienthal um 1840 angelegt und in Augustendorf wurden im Herbst 1872 4 und im Herbst 1873 3 Klappstaue in den Kanal eingesetzt. Auch an der Einführung der Bewässerungsordnungen in den Moorkolonien war Witte maßgeblich beteiligt und viele tragen seine Unterschrift. Seine geringe freie Zeit widmete er der Landwirtschaft. Er gab auch die Anregung zur Gründung des landwirtschaftlichen Vereins Bremervörde, durch dessen Aktivitäten landwirtschaftliche Verbesserungen in vielen Moorkolonien erreicht wurden. Witte erhielt im Jahr 1856 das Ritterkreuz des Kgl. Guelphenorden und 1860 aus Anlaß der 25jährigen Jubelfeier des Provenzialvereins, dessen Präsident er war, den Titel eines Landes-Ökonomierates. Dieser tatkräftig Mann, dessen Wirken in der Fachliteratur leider kaum gewürdigt worden ist, starb am 21. Dezember 1861 in Bremervörde. Er wurde am 27. Dezember d.J. auf dem Friedhof am Osterende („Auf der hohen Worth“) beerdigt und die Stadt, Bremervörde pflegt noch heute dankenswerterweise die Grabstätte dieses verdienten Mannes. Das Amt des Moorkommissars ist nicht wieder besetzt worden und so war Christian Johann Nicolaus Witte, der Gründer Augustendorfs, zugleich der letzte Moorkommissar.
(Überwiegend aus: „Augustendorf“ Festschrift zum 150 jährigen Jubiläum)
Aus: „Das Niedersachsenhaus“, Nr. 40, 1928:
„Witte war ein Mann des Volkes dessen Anschauungen er kannte und für dessen sittlichen und materielle Wohlfahrt er strebten. Kanalvogt Müller sagte in einer hinterlassenen Schrift über die Moordörfer, von ihm: Es ist ganz gegen meinen Sinn, in dieser Schrift Personen namhaft zu machen; aber der genannte Herr hat hier im Moordistrict durch seine Geschicklichkeit, Umsicht und unermüdliche Tätigkeit manches Nützliche geschaffen, daß ich mich sehr undankbar erachtet, wenn ich nicht seinen Namen und Stand zum Gedächtnis einschaltete.“
d) Die nächsten Schritte
Im Grundsatz waren alle Vorüberlegungen vom Moorkommissar Witte angestellt, sodaß mit der eigentlichen Besiedlung des Dorfes begonnen werden konnte, welches allerdings noch keinen Namen hatte. Es war nicht ungewöhnlich, Neugründungen nach Mitgliedern des hannoverschen Königshauses zu benennen, wie z.B. im Fall von Friedrichsdorf. So schrieb der Amtmann zu Bremervörde nach internen Überlegungen an den Hof in Hannover, um die Genehmigung zur Benennung des Dorfes nach der Herzogin Auguste von Cambridge (aus dem Hause Hessen-Kassel) einzuholen. Die Herzogin war die Schwägerin der hannoverschen Königs Georg IV. und ihr Mann, Herzog August Friedrich war Generalgouverneur (später Vizekönig) des Landes Hannover.
„Zum Namen des Dorfes möchten wir vorschlagen, daß solches Augustendorf genannt werde, wenn uns gestattet würde, die Erlaubnis der Gattin unseres verehrten Generalgoverneurs, den Ort nach ihr benennen zu dürfen einzuholen“, hieß der schöne Text dieser Bitte. Das Amt Bremervörde bat dann am 16. August 1827 bei der Herzogin um die entsprechende Genehmigung. Die Antwort kam ziemlich promt.
„Königliches Amt benachrichtigte ich, daß wir ein Schreiben an meine Gemahlin, die Herzogin von Cambridge bei meiner Rückkehr hier, ausgehändigt ist – welches ich sofort beladen werde – da die Herzogin sich noch abwesend befindet. Den Inhalt des Schreibens ist mir jedoch durch den Oberleutnant von Linsingen bekannt gemacht ist und nun keine Zeit zu verlieren, nehme ich keinen Anstand, Nahmens der Herzogin von Cambridge zu versichern, daß sie mit Vergnügen dem Wunsche des Königl. Amtes genügen – und billigen wird, daß der im Amte Bremervörde neu anzulegenden Kolonie der Nahmen Augustendorf beygelegt werde......
Hannover, den 6ten September 1827
Adolphus Friederich“
Darauf genehmigte die Königliche Landdrostei Stade am 26. September 1827 den schönen Namen Augustendorf.
„Wir genehmigen auf den berichtlichen Antrag vom 15. d.M. daß der neuen Colonie im Gnarrenburger Moore der Name Augustendorf beygelegt werde....“
Mit Schreiben vom 11. Mai 1827 ging an die Moorämter Osterholz, Ottersberg, Lilienthal und Bremervörde die Aufforderung, bekannt zu machen, daß „im Obergnarrenburger Moor 10 Anbau Plätze“ besetzt werden sollten. Und so wurden am darauffolgenden Sonntag von den Kanzeln der Kirchen und durch Aushang an den Amtshäusern der umliegenden Ämter die beabsichtigte Gründung Augustendorf durch die Meldung und Auswahl geeigneter Bewerber beginnen sollte. Und die Bewerber meldeten sich in beträchlicher Anzahl.